Bald soll eisiges Flusswasser Wohnzimmer heizen
Wissenschaftler forschen in Zittau und Weißwasser an grüner Fernwärme. Sie entziehen dabei Flüssen und Seen Energie.
Von Thomas Mielke
Kleine Eis- und Schneeberge haben in den letzten Wochen an der Mandau in Zittau-Ost immer wieder mal für Aufsehen gesorgt. Selbst bei schönstem Herbstwetter jenseits der 15 Grad-Marke waren die Häufchen an der Uferböschung des Flusses vor dem Gelände der Stadtwerke an der Schliebenstraße zu sehen. Christoph Steffan vom Institut für Luft- und Kältetechnik in Dresden und Thomas Gubsch vom Institut für Prozesstechnik, Prozessautomatisierung und Messtechnik der Hochschule Zittau/ Görlitz können erklären, was es damit auf sich hat. Die beiden Forscher stellen noch bis Ende November Eis und Wasserdampf in einer von den Stadtwerken Zittau zur Verfügung gestellten Halle her. Gubsch und Steffan wollen zeigen, dass sich ganzjährig aus Oberflächenwasser effizient Wärme gewinnen und nutzen lässt. Und damit Gas zumindest ein Stück weit als Energieträger ablösen kann. Das Projekt „Aqva Heat“ der Hochschule Zittau/Görlitz, der Luft- und Kältetechniker aus Dresden, der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sowie der Stadtwerke Zittau und Weißwasser ist nach mehrjähriger Vorbereitung im März 2021 gestartet. Mit der Wärme aus Flüssen oder Seen sollen zum Beispiel Fernwärmenetze gespeist werden.
Christoph Steffan denkt da unter anderem auch an die vom Kohleausstieg betroffenen Städte Cottbus, Senftenberg, Weißwasser, Spremberg und Hoyerswerda, die jahrzehntelang Fernwärme von den nahen Braunkohle-Kraftwerken geliefert bekamen. Doch die Zeit der Kraftwerke geht zu Ende. Die Zeit der „grünen“, der erneuerbaren Energieträger hat begonnen. Doch wohin mit dem Wind-, Wasser- und Sonnenstrom, wenn gerade nicht so viel gebraucht wird, wie vorhanden ist? Er könnte zum Beispiel zur Wärmegewinnung aus Flüssen und Seen genutzt werden. Im Fall der Lausitzer Energiestädte aus Tagebaurestseen. Dafür steigen Gubsch und Steffan noch bis Ende November an jedem Testtag in Gummihosen in die Mandau und stellen einen Gitterkorb in das Flüsschen. Von dort wird das Wasser über einen der beiden Schläuche in die Halle der Stadtwerke, in eine von den Dresdner Kältetechnikern geplante Anlage, gepumpt. Der Gitterkorb verhindert, dass zum Beispiel Fische eingesaugt werden.
Das Herz der Anlage ist – vereinfacht dargestellt – ein großer Kessel, in dem das Wasser zum Kochen gebracht wird. Aber nicht auf herkömmliche Weise, sondern unter Ausnutzung seiner besonderen physikalischen Eigenschaften. In dem Kessel wird – wie auch in jedem Kühlschrank – ein sogenannter Kältekreisprozess gefahren. Die Besonderheit liegt darin, dass dieser Prozess im Vakuum und ausschließlich mit Wasser abläuft. Dadurch gelingt es, Wasser hin zu niedrigen Temperaturen und gar bis an den Gefrierpunkt heran zum Kochen zu bringen. Das Phänomen ist bei Bergsteigern bekannt: je höher der Berg, desto niedriger der Luftdruck und die Siedetemperatur. Erreicht das Wasser eine Siedetemperatur von null Grad, kann ein Teil davon kontrolliert ausgefroren werden, sodass in dem Kessel ein pumpfähiges Wassereisgemisch entsteht. Der gleichzeitig entstehende Dampf entzieht dem Wasser – so in etwa wie die Verdunstungskälte beim Schwitzen eines Menschen – Wärme. Dieser energiereiche Dampf wird abgesaugt und erwärmt. Danach wird der Dampf dazu gebracht, zu kondensieren, um die Wärme an ein oder mehrere angeschlossene Wärmepumpen abgeben zu können. Möglich ist auch, damit einen Speicher – ähnlich einem Warmwasserboiler – zu beladen und damit die Energie aufzubewahren.
Der Einsatz von Wärmepumpen an sich ist nichts Besonderes. Auch Eis und Dampf in einer Vakuumkammer haben die Dresdner Kältetechniker schon erfolgreich hergestellt. Aber das Zusammenspiel der Technik mit natürlichem Süßwasser zur Wärmegewinnung ist weltweit einmalig.
Ende November endet der Probebetrieb an der Mandau. Danach soll es aber erst richtig losgehen. Die Forscher haben die Geldgeber vom Staat überzeugt, dass aus der Idee eine echte Zukunftstechnologie werden könnte. Nicht umsonst haben sie schon den 2020 erstmals von der sächsischen Landesregierung ausgelobten und mit 20.000 Euro dotierten „eku-innovativ- Zukunftspreis für Energie, Klima & Umwelt“ gewonnen.
Voraussichtlich ab kommendem Jahr soll die drei Millionen Euro teure nächste Projektphase starten. Zwei Jahre haben sich die Forscher gegeben, um eine neue, passgenaue Anlage zu entwerfen. In einer drei Jahre dauernden dritten Phase wollen sie dann mit ihrer Methode das Zittauer Fernwärmenetz mit Wärme aus Mandauwasser und das Verwaltungsgebäude der Stadtwerke Weißwasser mit der des Wassers aus dem Ziegeleiteich in der Stadt versorgen. Dabei wollen sie zusammen mit anderen Partnern aus der Region lernen und das System auf Effizienz trimmen. Am Ende soll fünf-, sechsmal so viel Energie aus dem Wasser gewonnen werden wie die Pumpen der Anlage verbrauchen.
Wenn alles gut geht, wird das Verfahren bis zur Marktreife entwickelt. Die Forscher haben auch gleich die Gründung einer Firma auf den Weg gebracht – und könnten damit sowohl bei der Herstellung als auch beim Betrieb einen Teil der in der Kohle wegfallenden Arbeitsplätze ersetzen. Das Eis und das kalte Wasser aus dem Vakuumkessel könnten in Zukunft zum Beispiel an Kühlhäuser geliefert werden oder anstatt von umweltschädlichen Klimaanlagen eingesetzt werden.
„Von der Physik her ist das der effizienteste Weg, Eis zu erzeugen und es bieten sich über die reine Wärmeerzeugung hinaus viele Anwendungsmöglichkeiten“, sagt Christoph Steffan. Noch aber wird das Eiswasser zurück in die Mandau gepumpt. Was dabei genau in und mit der Mandau passiert, messen und untersuchen Gewässerökologen der BTU Cottbus-Senftenberg. Schon vorab haben die Forscher Vorgaben von den Ämtern bekommen, was geht und was nicht. So darf zum Beispiel das wieder eingeleitete Wasser in einer definierten Entfernung maximal zwei Grad kälter sein als das zuvor abgepumpte. „Wir haben noch keinen gefrorenen Fisch gesehen“, sagt Thomas Gubsch mit einem Augenzwinkern. Aber im Ernst: Schon jetzt zeichne sich ab, dass das kältere Wasser nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf Flora und Fauna im Fluss habe.
Mit den kleinen Schneehäufchen am Ufer der Mandau haben die Umweltbehörden kein Problem. Die entstehen, wenn Steffan und Gubsch eine Verbindung des aus mehreren Stücken bestehenden Schlauchs, der das kalte Wasser zurücktransportiert, aufschrauben und nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Dann fließt das Eiswasser auf die Uferböschung und hinterlässt den kleinen Berg.
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